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2.Weltkrieg

zerstoertes GemeindehausVorwort zur 2. Ausgabe von Pfr. Lorentz

Die kleine Kirchengeschichte unserer Gemeinde: „30 Jahre evangelische Kirchengemeinde Radbod", 1938, soll nun ihre Fortsetzung haben. Inzwischen hat der zweite Weltkrieg unsere Gemeinde auf das schwerste getroffen und durch seine Folgen einschneidende Veränderungen hervorgerufen. Von diesem Geschehen in den letzten zwanzig Jahren will nun diese Fortsetzung berichten.

An den Berichtsteil schließt sich wieder eine Übersicht der in der Gemeinde tätigen bzw. tätig gewesenen Pfarrer, Hilfsprediger, Vikare und der Laien in kirchlichen Ämtern an.

Die Gefallenen des zweiten Weltkrieges, auch die durch Fliegerbomben in der Heimat Umgekommenen, und die Vermißten sind auf einer besonderen Namentafel aufgeführt. Für Mithilfe bei deren Zusammenstellung sei dem Standesamt Bockum-Hövel, Herrn Stadtverwaltungsinspektor Ferdinand Langenkämper, und dem Evangelischen Gemeindeamt, Frau Wilhelmine Effenberger, herzlicher Dank.

Ein Anhang soll noch einmal, wie schon im Gemeindebrief 1958, an die älteste Kirchengeschichte unserer Gemeinde erinnern: „Evangelisches Leben in Bockum-Hövel, Herbern und Walstedde im Reformationsjahrhundert bis zum 30jährigen Krieg."

An Quellen habe ich benutzt: die Chronik im Lagerbuch unserer Kirchengemeinde von 1938 an, die Abkündigungsbücher von 1938 an, meine eigenen Aufzeichnungen seit 1938, zahlreiche Pressenotizen, und für den Anhang nebst Urkunden aus dem Staatsarchiv Münster das Buch von Superintendent Friedrich Brune (Emsdetten): „Der Kampf um eine evangelische Kirche im Münsterland 1520-1802" (Lutherverlag, Witten).

Geschichte ist etwas Lebendiges und weist in die Zukunft. So möchte auch dieses Kirchengemeinde-geschichtliche Büchlein seinen zukunftsweisenden Dienst, besonders für unsere Jugend, tun.

Marburg (Lahn), im Februar 1960.

Erwin Lorentz, Pfarrer i. R.

 

Am 13. November 1938 konnte die durch die Kirchenmalerin Hilde Viering neuausgemalte Kirche - Superintendent Torhorst legte seiner Festpredigt Johannes 3, Vers 16 zugrunde - der Gemeinde übergeben werden.
Der Bruderrat löste sich Ende des Jahres auf, eine Neubildung erfolgte nicht. Die Bekenntnisversammlungen ließen nach.

Anfang 1939 läutete zum ersten mal die Taufglocke; eine Evangelisation stärkte die Gemeinde, woraufhin noch eine besondere Freitagsgebetsstunde entstand. Drei neue liturgische Farben (Grün, Weiß, Rot), handgewebt von Verena Wiskott (Hamburg), traten zu den vorhandenen hinzu und bezeichneten das gottesdienstliche Kirchenjahr. Ein Synodalmissionsfest bildete den Höhepunkt des Jahres.

Wochenlang wurde sonntags fürbittend der durch einen Grubenbrand Schwerverletzten gedacht. Die beiden Einzelgemeinden Bockum und Hövel hörten auf zu existieren und wurden zu einer Gemeinde Bockum-Hövel vereinigt, da begann Anfang September mit dem polnischen Konflikt der zweite Weltkrieg, der sich zu einer Weltkatastrophe auswirkte und seine Schicksalshand so schwer auch auf unsere Kirchengemeinde legen sollte.

2. Weltkrieg

Die erste Kriegsmaßnahme war das Läuteverbot (Ziel für Flieger!), das aber bald in eine Drei-Minuten-Läute-Erlaubnis umgewandelt wurde, was aber nicht hinderte, daß nach Beendigung des polnischen 18-Tage-Feldzuges und später nach dem Sieg über Frankreich (1940) ein 6- bzw. 10 tagelanges Siegesläuten und Beflaggen angeordnet wurde!

Im großen Saal des Gustav-Adolf-Hauses wurden 250 Tonnen jugoslawischer Weizen gelagert (zur Sicherung des Brotgetreides), später wurden im Saal (1941) auf der Zeche arbeitende Ostoberschlesier, Kroaten und Bosniaken untergebracht, nach deren Abzug der Saal gründlichst von Flöhen gereinigt werden mußte! Schließlich hielt eine Näherei der Firma Rawe aus Rheda ihren Einzug, die Arbeitsschürzen herstellte, bis dieser durch die Zerstörung 1944 ein Ende bereitet wurde.

Eine weitere Kriegsmaßnahme waren die Luftschutzeinrichtungen: der Erfrischungsraum des Gustav-Adolf-Hauses diente zuweilen 600 bis 700 Menschen als Schutzraum! Der Kegelbahnraum wurde vorschriftsmäßig abgestützt, die Keller des Pfarrhauses und der Kirche wurden aufgesucht, eine „Luftschutzgefolgschaft" wurde gebildet. Vom ersten Tage des Krieges an gab es Alarm, der sich bis zum Ende des Krieges auf 10 Std. täglich ausdehnte! Schon im Mai 1940 verursachten die Bombenabwürfe kleinere Schäden an den Fenstern des Kindergartens; aus der fast täglichen Sorge, es könnte auch noch Schlimmeres geschehen; kam man nie heraus!

Die Verdunkelungsvorschrift wurde eine Notwendigkeit, sie wurde oft kleinlich gehandhabt und hatte auch einschneidende Folgen für das kirchliche Leben.Der Himmelfahrtstag 1941 wurde seines staatlichen Schutzes entkleidet und zum Arbeitstag erklärt, trotzdem fand ein Gottesdienst am Vormittag statt. Für den 31. Oktober 1941 verbot der Oberpräsident den Reformationsschulgottesdienst, die Kinder mußten nach Hause geschickt werden. Die Philipp-Melanchthon-Bücherei mußte Bücher, die dem Dritten Reich nicht genehm waren, abgeben, schließlich wurde sie ganz geschlossen. Die Dankopferbüchsen der Rheinischen Mission mußten eingezogen werden, da sie gegen das Sammlungsgesetz verstießen. Die Gemeinde aber half sich, indem sie ihre Missionsgaben auf Messingteller des Altars legte - und es waren reichliche Gaben -, bis auch diese Teller zusammen mit anderen Messinggegenständen (Fahnenspitze des Männerdienstes, Becken des Posaunenchors, Nickelteller der Kirche, messingnen Türklinken) der Altmetallsammlung zum Opfer fielen.

Den Vereinen war es nicht mehr erlaubt, geschlossen über die Straße zu gehen, schließlich wurde auch das Kaffeetrinken nicht mehr gestattet (!), und sportliche Betätigung der Jugend mußte ebenfalls unterbleiben. Die Kirche sollte sich im buchstäblichen Sinn auf ihren „kirchlichen Raum" beschränken, aber der Staat durfte sich erlauben, auch die Kirche selbst zu treffen und in ihrem Wirken einzuengen.

Viele Männer der Gemeinde wurden zum Heeresdienst, zur Luftwaffe oder zur Marine eingezogen. So auch Pfarrer Echternkamp (Juli 1940) und Lehrer (später Rektor) Ammer. Den Orgeldienst übernahm in Vertretung Lehrer (später Rektor) Schäl; auch der Posaunenchor hat durch Blasen der Liturgie im Gottesdienst der Gemeinde einen Dienst erwiesen.

Viele religiösen Schriften und Päckchen wurden ins Feld gesandt, und die Urlauber besuchten gern die Gottesdienste der Heimat und berichteten von draußen. Für die Gefallenen wurde ein Gedenken im Gottesdienst eingerichtet, das noch in der Nachkriegszeit fortgesetzt wurde; ein Gefallenengeläut erhöhte die Feier.

Saarflüchtlinge ließen taufen und sich trauen, wie ja überhaupt zeitweise die Kriegstrauungen die Mehrzahl waren.

Seit September 1940 führte die Kirchengemeinde amtlich die Bezeichnung: „Evangelische Kirchengemeinde Bockum-Hövel." Auch das neue Kirchensiegel führte dann diese Bezeichnung (Grubenlampe mit aussendenden Strahlen, oben ein Kreuz und Psalm 18, Vers 29).

Das Jahr 1941 hatte zum ersten Mal eine Rüstfeier am Vorabend des 1. Mai, die dann als Sitte geblieben ist.

Im folgenden Jahre, 1942, mußte die kleine Bronzeglocke - Ton cis, Inschrift Römer 12, Vers 12 -, die bis 1918 mit den beiden anderen Glocken zusammen und von da ab bis 1921 allein geläutet hat, als Kriegsmaßnahme abgegeben werden. Im selber. Jahr kam es auch zur Festsetzung des zweiten Sonntags als Abendmahlssonntag.

In den Schulen konnte kein Religionsunterricht mehr gegeben werden, da es an Lehrern fehlte.

Der Krieg forderte seine ersten Opfer durch den Fliegertod. Der Einsegnungsgottesdienst der Bockumer, 1943, und der Kantategottesdienst, 1944, wurden durch Alarm unterbrochen und fanden ihre Fortsetzung im Gustav-Adolf-Haus.

Von Pfarrer Echternkamp kam die Nachricht, daß er beim Sturmangriff auf Bellmonte castello (Italien) im Januar 1944 vermißt sei; später meldete er sich aus amerikanischer Gefangenschaft im Staate Tennessee. Die Gemeinde gedachte seiner fürbittend im Gebet.

Immer härtere, brutalere Methoden entwickelte der Krieg; die Alarme, die Fliegerangriffe nahmen zu, die sogenannten „Christbäume" am nächtlichen Himmel waren mehr als ein grausig schöner Anblick, sie meldeten das Kommen des Feindes. Kein Wunder, daß Verängstigung sich der Bevölkerung bemächtigte, und das kirchliche Leben sich auf das Notwendigste beschränken mußte. Und dann kam die Katastrophe, die unsere evangelische Kirchengemeinde mit besonderer Härte traf.

Am 26. September 1944, nachmittags zwischen 15 und 16 Uhr, traf ein Volltreffer amerikanischer Flieger das Gustav-Adolf-Haus. Es wurde zu fast 90 Prozent zerstört: ein Anblick der Verwüstung und des Grauens! 16 Frauen, darunter Mitglieder des NS-Frauenwerks und unsere Gemeindeschwester Mariechen Diemke, fanden den Tod. Eine Reihe von ihnen konnte nur als „unbekannt" geborgen werden. Viele waren verletzt. Der Gebäudeteil mit der Kreiskasse, der Schwesternstation, den Jungmännerräumen, dem Kindergarten und dem Erfrischungsraum existierte nicht mehr; der große Saal war schwer beschädigt. 80 Kindergartenkinder waren mit Schwester Alwine Ickler im Luftschutzraum der Kegelbahn geblieben, diejenigen Kinder aber, die von ihren Müttern vorher herausgeholt waren, kamen mit diesen in den Erdbunkern am Zechenbuschrande ums Leben.

An drei Ecken des Pfarrhauses hatten je eine Zwanzigzentnerbombe riesige Trichter gerissen, die Wintergartenveranda war völlig verschwunden, das Innere des Hauses zerrissen, voller Schutt und Scherben. Die Pfarrfamilie, die mit Gottes Hilfe im Keller am Leben geblieben war, war ausgebombt und fand bei Lehrer Lange, Eschstr. 1, eine freundliche Aufnahme.

Die Kirche hatte durch die Erschütterungen der Bomben ringsum so gelitten, daß sie nicht mehr benutzt werden konnte. Auch die Pfarrmietswohnung, Merschhofen 8, wies Beschädigungen auf.

Die Opfer der Vernichtung wurden in einer Gemeinschaftsfeier von Partei und den beiden christlichen Kirchen auf dem Ehrenfriedhof in Bockum beigesetzt, als Text lag zugrunde: Psalm 73, Vers 23 und 26.

Ein Fliegerangriff am 2. Oktober forderte im Wittekindsblock zahlreiche Opfer; der Beisetzungsfeier, die wegen Alarm abgebrochen werden mußte, diente Johannes 16, Vers 33 b als Trostwort.

Am 1. Oktober, Erntedank, kam ein Gottesdienst nicht zustande, der einzige Gottesdienst übrigens im Kriege, der ausfallen mußte. Da machte uns die Baptistengemeinde (heute Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde) das freundliche Anerbieten, das wir dankend annahmen, ihre Kapelle für unsere gottesdienstlichen Zwecke zu benutzen, zumal sie selbst ohne Prediger war. Auch konnte der Baptistengemeinde vertretungsweise bei Beerdigungen gedient werden.

Und dann traf noch einmal das Fliegerschicksal unsere Gemeinde: am 25. Oktober fielen Bomben auf das Kirchen-, Pfarr- und Gustav-Adolf-Haus-Gelände, z. T. in dieselben Stellen wie am 26. September - der Zechenbusch zählte über 70 Bombentrichter - und ein Volltreffer traf den Bunker an der Ludendorffstraße (früher: Kaiser-, jetzt Friedrich-Ebert-Straße) neben dem Küster Müller. Von den 19 Schutzsuchenden kamen 16 ums Leben, darunter unsere Kindergartenschwester Alwine Ickler und unsere Küsterin Frau Elfriede Müller; während unsere Hausmeisterin, Frau Ida Mönnig, mit ihrer Schwester schwer verletzt ins Krankenhaus nach Werne gebracht wurde, wo sie beide bald darauf starben.

Auch in den Erdbunkern am Zechenbusch kamen Familien mit 4-5 Gliedern ums Leben; in einem Bunker blieb nur ein junges Mädchen am Leben, das gebetet hatte.

Viele Gemeindeglieder verließen Bockum-Hövel, viele suchten die Bunker in den Steinhalden der Zeche auf, nicht zum Besten ihrer Gesundheit. Die Chronik verzeichnete am Jahresende einen Verlust von insgesamt 214 evangelischen Gemeindegliedern (einschließlich der Kriegs- und Zivilgefallenen und vieler Kinder).

Der Katechumenen- und Konfirmandenunterricht fiel zunächst erst einmal aus. Kinder, die zur Taufe gemeldet, aber nicht erschienen waren, wurden in den Häusern getauft, es sollte kein Kind ungetauft bleiben, da man ja nie wußte, was Morgen sein konnte. Ein Kind erhielt im Zechenbunker, wo in der Steinhalde ein Entbindungsraum geschaffen war, die Nottaufe. Presbyter Thiele wurde zum Lektor ausgebildet und hat mit Beerdigung und Lesegottesdienst mit aushelfen können. Die Gottesdienstzeit wurde wegen des frühzeitigen Alarms auf 8 Uhr morgens festgesetzt, die Einsegnung im Februar/März 1945 auf 6.30 Uhr früh. Die Beerdigungen fanden ebenfalls früh statt, nur auf den Friedhöfen, z. T. bei Vollalarm und unter Bedrohung von Tieffliegern. Mit dem kirchlichen Unterricht wurde im Januar wieder begonnen. Keine Passionsandacht, keine Abendmahlsfeier fiel aus. Auch die Ostergottesdienste am 1. und 2. April - es setzte ein wundervoller Frühling schlagartig ein - kamen zustande, während die Amerikaner mit ihren Panzerwagen schon in Bockum-Hövel standen. Bei der Verteidigung von Bockum-Hövel fiel noch ein evangelischer hessischer Obergefreiter, Karl Luther, in der Nähe des Bockumer Friedhofs, auf dessen Ehrenfriedhof er beerdigt wurde.

Und dann trat eine Beruhigung der Lage ein und ein völliges Abgeschnittensein von der Umwelt (keine Post, keine Bahn verkehrte mehr).

Bockum-Hövel erhielt eine amerikanische Besatzung, später eine belgische. Die Ausgehzeit, anfangs auf drei Stunden beschränkt, wurde später erweitert.

Und nun ging es ans Aufräumen des zerstörten Geländes an Kirche, Pfarrhaus und Gustav-Adolf-Haus, wobei Männer, Frauen und die Jugend der Gemeinde fleißig mitgeholfen haben.

Leider sind die unter Naturschutz stehenden Bäume: die Stechpalme (Ilex) im Pfarrgarten und die Hainbuche vor dem Gustav-Adolf-Haus dem Kriege zum Opfer gefallen.

Erwin Lorentz

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